Erneute Stellungnahme der BAND e.V. zum Artikel 12 im Gesetzentwurf des MTA-Reform-Gesetzes (Änderung des Notfallsanitätergesetzes)
Der am 18.11.2020 vorgelegte Gesetzentwurf der Bundesregierung (Drucksache 19/24447) sieht in Artikel 12 die Änderung des Notfallsanitätergesetzes (NotSanG) mit folgendem Wortlaut vor:
- Nach § 2 wird folgender § 2a eingefügt:
„§ 2a Eigenverantwortliche Durchführung heilkundlicher Maßnahmen durch Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter
(1) Bis zum Eintreffen der Notärztin oder des Notarztes oder bis zum Beginn einer weiteren ärztlichen, auch teleärztlichen Versorgung, dürfen Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter heilkundliche Maßnahmen, einschließlich von heilkundlichen Maßnahmen invasiver Art, dann eigenverantwortlich durchführen, wenn
1. sie diese Maßnahmen in ihrer Ausbildung erlernt haben und beherrschen,
2. die Maßnahmen jeweils erforderlich sind, um Lebensgefahr oder wesentliche Folgeschäden von der Patientin oder dem Patienten abzuwenden,
3. für die vorzunehmende Maßnahme in der konkreten Einsatzsituation standardmäßige Vorgaben für das eigenständige Durchführen von heilkundlichen Maßnahmen bei bestimmten notfallmedizinischen Zustandsbildern und -situationen nach § 4 Absatz 2 Nummer 2
Buchstabe c
a) nicht vorliegen oder
b) zwar vorliegen, aber von der Notfallsanitäterin oder dem Notfallsanitäter nicht eigenständig durchgeführt werden dürfen, und
4. eine vorherige Abklärung durch eine Ärztin oder einen Arzt unter Berücksichtigung des Patientenwohles nicht möglich ist.
(2) Das Bundesministerium für Gesundheit entwickelt Muster für standardmäßige Vorgaben für das eigenständige Durchführen von heilkundlichen Maßnahmen bei bestimmten notfallmedizinischen Zustandsbildern und -situationen nach § 4 Absatz 2 Nummer 2 Buchstabe c. Bei der Entwicklung der Muster für standardmäßige Vorgaben sind die Länder zu beteiligen. Die entwickelten Muster für standardmäßige Vorgaben werden vom Bundesministerium für Gesundheit bis zum 31. Dezember 2021 im Bundesanzeiger bekannt gemacht.“
In der Folge der Einführung des NotSanG und der Schaffung des neuen Berufsbildes der Notfallsanitäterinnen und -sanitäter (NotSan) ist der deutsche Rettungsdienst personell deutlich besser aufgestellt. Die vollständige Ausbildung zum NotSan ist gut strukturiert und umfangreich und bereitet die NotSan bestmöglich auf ihren Einsatz vor. Der Bedarf an NotSan ist steigend und es besteht bereits jetzt ein Mangel an entsprechend qualifiziertem Personal.
Die BAND e.V. begrüßt den Gesetzentwurf und hält ihn nach wie vor für grundsätzlich geeignet, die Rechtssicherheit für die behandelnden NotSan wie auch die Sicherheit der Notfallpatientinnen und -patienten zu verbessern.
Im Interesse der Notfallpatientinnen und -patienten muss die Versorgung bei einem Notfall schnellstmöglich erfolgen. Gerade in den § 4 Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe c des NotSanG beschriebenen Situationen („Lebensgefahr oder wesentliche Folgeschäden; „1c-Situation“) ist es nach unserer Auffassung essentiell, dass die Behandlung so früh wie möglich durch einen Arzt oder eine Ärztin erfolgt, dies können Notarzt oder Notärztin an der Einsatzstelle oder Ärzte in einem weiterbehandelnden Krankenhaus sein, wenn dieses schneller erreicht werden kann als Notarzt bzw. Notärztin an der Einsatzstelle eintreffen können und ein Transport des Patienten möglich ist. Überall dort, wo rettungsdienstliche, telemedizinische Systeme bereits etabliert sind, können diese die NotSan bei der Einschätzung der Patienten und deren Behandlung vor Ort und während des Transports unterstützen.
Da – wie in der Gesetzesbegründung ausgeführt – die eigenverantwortliche Durchführung heilkundlicher Maßnahmen durch NotSan mit der Übernahme der haftungsrechtlich alleinigen Verantwortung verbunden ist, sollte sie auch im Interesse der NotSan auf das erforderliche Mindestmaß und die oben beschriebenen Situationen begrenzt bleiben.
1) Die eigenverantwortliche Anwendung heilkundlicher Maßnahmen wird unter den Voraussetzungen des Ausbildungsziels nach § 4 Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe c NotSanG
(„…Durchführen medizinischer Maßnahmen der Erstversorgung bei Patientinnen und Patienten im Notfalleinsatz und dabei Anwenden von in der Ausbildung erlernten und beherrschten, auch invasiven Maßnahmen, um einer Verschlechterung der Situation der Patientinnen und Patienten bis zum Eintreffen der Notärztin oder des Notarztes oder dem Beginn einer weiteren ärztlichen Versorgung vorzubeugen, wenn ein lebensgefährlicher Zustand vorliegt oder wesentliche Folgeschäden zu erwarten sind…“)
ausdrücklich erlaubt. Da jedoch gerade die komplexen Maßnahmen aufgrund ihrer insgesamt seltenen Anwendung im Rahmen der Ausbildung teils nur ansatzweise erlernt und eine Routine im rettungsdienstlichen Alltag nicht aufrecht erhalten werden kann, plädieren wir dafür, diese Maßnahmen näher zu beschreiben und auf die hier genannten Situationen zu begrenzen. Auf diese Weise wird verdeutlicht, dass derartige Maßnahmen zu den beruflichen Aufgaben der NotSan im Rahmen einer funktionellen Selbständigkeit („notfallsanitäterliche Heilkunde“) zählen. Zugleich wird aber eine umfassende, von den aufgeführten Voraussetzungen unabhängige Heilkundebefugnis verneint, welche nicht Aufgabe der medizinischen Assistenzberufe ist.
2) Kritisch sehen wir die Einführung des Begriffs „teleärztliche Abklärung“, da dieser nicht zwingend den erforderlichen Bezug zu rettungsdienstlichen Strukturen und Qualifikationsvorgaben beinhaltet.
Es muss in aller Deutlichkeit daran erinnert werden, dass das Regelungsziel des Referentenentwurfs die Patientensicherheit in lebensbedrohlichen Situationen ist. Auch in einer regional unterschiedlichen Versorgungsrealität muss daher für eine „teleärztliche Abklärung“ mindestens eine notärztliche Qualifikation vorausgesetzt werden.
Wir schlagen daher anstelle des Begriffs „teleärztliche Abklärung“ die Formulierung „telenotfallmedizinische Unterstützung durch eine/n speziell qualifizierte/n Notärztin oder einen Notarzt“ vor. Sollte ein Bundesland bisher keine im Rettungsdienst verankerten Personen in dieser Funktion haben, so muss die Formulierung im Referentenentwurf jetzt Anlass sein, solche zu etablieren. Auf keinen Fall ist zu akzeptieren, dass der „teleärztliche“ Delegant ein Krankenhausarzt oder ein niedergelassener Arzt ohne notärztliche Qualifikation und ohne spezifische Kenntnis der regionalen Rettungsdienststrukturen ist.
3) Wie in der Stellungnahme des Bundesrates vorgeschlagen, halten auch wir die Nummern 3 und 4 des §2a Absatz 1 für entbehrlich. Nummer 3 beschreibt Situationen, die – wie beispielsweise die Analgesie bei starken Schmerzen – entsprechend § 4 Absatz 2 Nummer 2 Buchstabe c NotSanG im Rahmen standardmäßiger Vorgaben regelbar sind. Sie sollten zur klaren Abgrenzung und Beschränkung auf die Situationen mit Lebensgefahr oder wesentlichen Folgeschäden nicht herangezogen werden. Nummer 4 ist aus Sicht der BAND in der unmittelbaren „1c-Situation“ geeignet, das sofortige Handeln zur Abwendung akuter Gefahr zu verzögern und die Handelnden zu verunsichern. Die Bedingungen sind zudem in Nummer 2 bereits ausreichend beschrieben. Daher sollten diese beiden Nummern gestrichen werden.
Die implizierte Ergänzung standardmäßiger Vorgaben für notfallmedizinische Zustandsbilder und -situationen im Sinne des § 4 Absatz 2 Nummer 2 Buchstabe c NotSanG ist prinzipiell zu begrüßen. Es existieren bereits heute landesrechtliche Verwaltungsvorschriften oder Empfehlungen der Landesministerien – zum Teil auch länderübergreifend – zum Vorgehen bei einem wachsenden Spektrum von notfallmedizinischen Krankheitsbildern, welche auf der Basis der sogenannten „Pyramidenprozesse I + II“ entwickelt wurden und weiterentwickelt werden. Um differente oder gar widersprüchliche Vorgaben zu vermeiden, sollte deren Entwicklung in der Zuständigkeit der Länder belassen werden. Zur gemeinsamen Entwicklung und regelmäßigen Überarbeitung auch nach dem 31.12.2021 sollten die bewährten Strukturen (Pyramidenprozess) unter Einbeziehung der Fachgesellschaften genutzt werden. Hierbei ist zu beachten, dass die präklinische Notfallmedizin sich auch in den nächsten Jahren dynamisch weiter entwickeln wird.
Die BAND e.V. bekräftigt in diesem Zusammenhang ihr Angebot, sich gern in die Erarbeitung der Muster einzubringen.
Die Anordnungs- und Überwachungsverantwortung für diese vorgegebenen Maßnahmen der ärztlichen Heilkunde trägt die regional zuständige Ärztliche Leitung des Rettungsdienstes (ÄLRD). Die Durchführungsverantwortung liegt bei den NotSan mit Erlaubnis nach Satz 1 NotSanG.
Es ist aus Sicht der BAND e.V. essentiell, dass ÄLRD durch die gesetzlichen Rahmenbedingungen und personellen Ressourcen in die Lage versetzt werden, diese Vorgaben an die regionalen Gegebenheiten anzupassen, zu schulen und deren Umsetzung bzw. Anwendung zu evaluieren.
ÄLRD müssen durch die gesetzgeberisch zu schaffenden Rahmenbedingungen in die Organisationsverantwortung für ihren Rettungsdienstbereich eingebunden und mit der entsprechenden Regelungskompetenz ausgestattet werden. Nur so können sie in einem sinnvollen und für die Versorgung der Patientinnen und Patienten entsprechend der regionalen Strukturen angepassten Maß standardmäßige Vorgaben zur Vorabdelegation umsetzen und verantworten. Die hierfür erforderliche Stärkung der ÄLRD sollte idealerweise in den Landesrettungsdienstgesetzen verankert werden. Ersatzweise könnte den ÄLRD durch eine Reform des Heilpraktikergesetzes die Befugnis eingeräumt werden, nach definierten Vorgaben und in geregeltem Umfang heilkundliche Maßnahmen für bestimmte Personen zuzulassen.
Zusammenfassung:
- Die BAND e.V. begrüßt den Gesetzentwurf und hält ihn grundsätzlich für geeignet, die Rechtssicherheit zu verbessern.
- Begrenzung der Erlaubnis zur eigenverantwortlichen Durchführung heilkundlicher Maßnahmen auf die sogenannten „1c-Situationen“ zur Überbrückung des Intervalls bis zur Übernahme der Behandlung durch einen Arzt oder eine Ärztin.
- Streichung der Nummern 3 und 4 des §2a Absatz 1.
- Schaffung der rechtlichen und personellen Rahmenbedingungen für ÄLRD, damit standardmäßige Vorgaben umfangreich erarbeitet, geschult und angewendet werden können.
- Angebot der BAND e.V. zur Beteiligung an der Erarbeitung der Muster für standardmäßige Vorgaben.
Berlin, 15.12.2020
Dr. Florian Reifferscheid und Dr. Peter Gretenkort
für den Vorstand der BAND e.V.