Anwendung von BtMG-gelisteten Opiaten und Opioiden durch Notfallsanitäter/-innen als Teil eines analgetischen Gesamt-konzeptes in der prähospitalen Notfallmedizin

BAND-Statement zur notwendigen Überarbeitung des Betäubungsmittelgesetzes

Die adäquate Linderung von Schmerzen ist eine wichtige Maßnahme der prähospitalen Notfallmedizin. Eine unzureichende Behandlung kann sowohl für Patientinnen und Patienten als auch für Behandelnde unbefriedigend und emotional belastend sein. Da hochpotente Analgetika weitgehend dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) unterliegen, stehen Notfallsanitäter/-innen im Wege der Vorabdelegation vielfach nur weniger wirksame Präparate zur Verfügung. Das BtMG stellt für eine zielgerichtete Bereitstellung von Opiaten und Opioiden zur Applikation durch Notfallsanitäter/-innen eine erhebliche Hürde dar, da für eine rechtssichere Vorabdelegation hohe Auflagen erfüllt werden müssen.

Eine aktuelle Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages vom Juni 2021 [1] kommt zu dem Fazit, dass „die aktuelle Rechtslage eine rechtssichere Betäubungsmittel-verabreichung durch Notfallsanitäter nach hier vertretener Auffassung nicht zulässt“. Daher erscheine vor dem Hintergrund der kürzlich neu definierten Voraussetzungen für die Durchführung heilkundlicher Maßnahmen durch Notfallsanitäter/-innen – neuer §2a Notfallsanitätergesetz (NotSanG) – eine ausdrückliche Klarstellung durch den Gesetzgeber dahingehend wünschenswert, ob und unter welchen Umständen diese zulässig sein soll.

Die BAND e.V. erneuert aus Anlass dieser Publikation ihre Forderung, die Gabe von Opiaten und Opioiden durch Notfallsanitäter/-innen unter den Vorgaben des §2a NotSanG sowie im Sinne von §4 Abs. 2 Nr. 1c und Nr. 2c NotSanG durch entsprechende Änderung des BtMG zu ermöglichen. Die BAND e.V. erwartet vom Gesetzgeber, dass er die Empfehlung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages umsetzt und die „weiterhin erheblichen Rechtsunsicherheiten im Hinblick auf die Anforderungen an die Weisung des ÄLRD und Haftungsfragen für die Ärzte und das nichtärztliche Rettungsdienstpersonal“ [1] beseitigt. Nach juristischer Auffassung ist die Änderung des BtmG ein notwendiger und geeigneter Schritt [2]. Dieses muss aus Sicht der BAND e.V. so geändert werden, dass das Mitführen der entsprechenden Medikamente im Rettungswagen und die Applikation durch Notfallsanitäter/-innen im Wege der Vorabdelegation mittels Standardarbeitsanweisungen möglich wird. Die BAND e.V. erwartet von diesem Schritt eine Verbesserung der prähospitalen Versorgung im Rahmen eines analgetischen Gesamtkonzeptes, so dass Notfallpatientinnen und -patienten nicht unter erheblichen Schmerzzuständen leiden müssen, wenn diese einfach und sicher behandelbar sind.

Hintergründe der juristischen Argumentation

Die aktuelle Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages [1] befasst sich mit den Voraussetzungen, welche über eine Rechtfertigung nach § 34 StGB hinaus (Rechtfertigender Notstand, Handeln als Ultima Ratio) die Anwendung von BtMG-gelisteten Opiaten und Opioiden durch Notfallsanitäter/-innen legitimieren könnten. Die darin beschriebenen Sachverhalte und die abgeleiteten Vorschläge stützen sich dabei in mehreren Punkten auf eine juristische Ausarbeitung aus dem Jahre 2017 [2].

Die jetzige Neubewertung erschien offenbar aufgrund der im Frühjahr 2021 verabschiedeten Ergänzung des NotSanG um den § 2a erforderlich, welcher Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitätern unter bestimmten und definierten Bedingungen (lebensbedrohliche Situation, Abwendung wesentlicher Folgeschäden) die eigenverantwortliche Durchführung heilkundlicher Maßnahmen, darunter auch die eigenverantwortliche Verabreichung von Medikamenten, erlaubt.

Die Wissenschaftlichen Dienste kommen unter Hinweis auf die Betäubungsmittelverschreibungs- verordnung (BtMVV) zu der Auffassung, dass es sich bei der Verabreichung von Schmerzmitteln, die in Anlage III des BtMG gelistet sind, grundsätzlich um eine delegationsfähige ärztliche Leistung handelt. Rechtsunsicherheit bestehe jedoch bei der Frage, ob eine Indikationsstellung und eine Prüfung von Behandlungsalternativen im konkreten Einzelfall durch den Arzt erfolgen muss oder ob eine Vorabdelegation der Gabe von Betäubungsmitteln für bestimmte notfallmedizinische Zustandsbilder und Situationen und in Bezug auf konkrete Medikamente unabhängig vom Einzelfall durch die Formulierung von Standardarbeitsanweisungen (SOP) erfolgen kann. Letztere Auffassung wird in der Ausarbeitung von 2017 bestätigt [2].

Einer großzügigen Interpretation der Möglichkeit zur Vorabdelegation werden jedoch nach Auffassung der Wissenschaftlichen Dienste Grenzen gesetzt durch eine zentrale Bestimmung des BtMG, nach welcher die Anwendung von Opiaten und Opioiden begründet sein muss. Wörtlich heißt es in § 13:

„Die Anwendung ist insbesondere dann nicht begründet, wenn der beabsichtigte Zweck auf andere Weise erreicht werden kann.“ Im BtMG wird hier die Intention der Abwehr von Gefahren für die Allgemeinheit (Jugendschutz, Suchtpotenzial, Drogenhandel) unterstrichen und gefordert, dass die individuelle ärztliche Indikationsstellung und die Prüfung von Alternativen besonders sorgfältig erfolgen muss. In diesem Zusammenhang wird nach Auffassung der Wissenschaftlichen Dienste selbst die Möglichkeit einer telemedizinischen Indikationsstellung und Delegation (Call-Back-Verfahren) in Frage gestellt. Eine Vorabdelegation der Gabe von BtMG-gelisteten Analgetika im Rahmen von Standardarbeitsanweisungen ist damit aus dieser Perspektive fraglich.

Durch den neuen § 2a NotSanG wird Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitätern die Möglichkeit eröffnet, unter bestimmten und definierten Bedingungen heilkundliche Maßnahmen auch außerhalb einer Delegation eigenverantwortlich vorzunehmen. Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages kommen jedoch zu der Einschätzung, dass die Abgabe von Betäubungsmitteln nur äußerst selten mit

§ 2a NotSanG begründet sein dürfte, da die eigenverantwortliche heilkundliche Befugnis auf lebensbedrohliche Situationen oder die Abwendung von wesentlichen Folgeschäden beschränkt ist. Sie weisen weiterhin darauf hin, dass der Gesetzgeber in der Begründung zum § 2a NotSanG dargestellt hatte, dass die eigenverantwortliche Durchführung heilkundlicher Maßnahmen im Fall einer Fehlindikation oder einer fehlerhaften Behandlung zu einer Haftung der Notfallsanitäter/- innen (sowohl zivil- als auch strafrechtlich) führen kann. Vor einer strafrechtlichen Haftung sollten sie geschützt werden, so dass die eigenverantwortliche Durchführung heilkundlicher Maßnahmen nur im Ausnahmefall in Frage käme [3]. Auch durch den neuen § 2a NotSanG bleibt daher die Frage unbeantwortet, unter welchen Umständen die Gabe von BtMG-gelisteten Analgetika durch Notfallsanitäter/-innen eindeutig legitimiert sein könnte.

Bereits 2017 wurde der Vorschlag unterbreitet, § 13 des BtMG um eine Ausnahmeregelung zu ergänzen, die es Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitätern in Abweichung von den bisherigen Bestimmungen erlaubt, unter eindeutig definierten Voraussetzungen BtMG-gelistete Opiate oder Opioide zu verabreichen [2]. Im damaligen Vorschlag einer inhaltlichen Ergänzung des BtMG wurde die Möglichkeit einer Vorabdelegation durch die Ärztliche Leitung Rettungsdienst außer Acht gelassen. Stattdessen wurden für diese Indikationsstellung die Voraussetzungen des 2021 neu eingefügten § 2a NotSanG für die eigenverantwortliche Durchführung heilkundlicher Maßnahmen (lebensbedrohliche Situation, Abwendung wesentlicher Folgeschäden) sinngemäß vorweg-genommen. In dem Vorschlag werden die Voraussetzungen für eine eigenverantwortliche Verabreichung von BtMG-gelisteten Analgetika erweitert um das Bestehen eines „erheblichen Schmerzzustandes, der ohne die Verabreichung nicht nur kurzfristig verlängert werden würde“. Zugleich wird jedoch die Eigenverantwortlichkeit der Notfallsanitäterin und des Notfallsanitäters auch in strafrechtlicher Hinsicht betont und eine dezidierte Regelung für die Überprüfung und Dokumentation der korrekten Voraussetzungen für die vorgenommene Maßnahme durch die Ärztliche Leitung Rettungsdienst vorgeschlagen.

Notärztliche Positionen

Noch 2005 hatte die BAND e.V. gemeinsam mit der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) die Erweiterung der Medikamentenliste der Bundesärztekammer zur Notkompetenz von Rettungsassistenten um die Gabe eines „Analgetikums“ bei „Verletzungen und ausgewählten Schmerzsymptomen“ skeptisch kommentiert [4]. Neben der formal-juristischen Argumentation mit den Einschränkungen des BtMG wurde die Zurückhaltung bei der Gabe von Opioid-Analgetika durch Rettungsassistentinnen und Rettungsassistenten aus medizinischer Sicht damit begründet, dass davon auszugehen sei, „dass es sich bei der unumgänglichen Notwendigkeit zur Applikation von Opiaten um ein gravierendes Unfall-/Krankheitsbild handelt, das zuvor den Einsatz eines (Not-) Arztes erforderlich macht“. Im Jahre 2012 kam demgegenüber ein Expertengremium unter Einbindung von BAND, regionalen Notarzt-Arbeitsgemeinschaften, Bundesverband ÄLRD, DGAI, Hilfsorganisationen und administrativen Instanzen zu der Empfehlung einer Notfallmedikationsmatrix für speziell geschultes Rettungsdienstpersonal (damals ebenfalls noch Rettungsassistentinnen und Rettungsassistenten) [5]. Hier wurden als Analgetika bei Trauma-bedingtem Schmerz „vorzugsweise Opioide“ vorgeschlagen.

In einer formlosen Umfrage der BAND e.V. unter den regionalen Notarzt-Arbeitsgemeinschaften konnte 2021 festgehalten werden, dass es Bundesländer gibt, in denen eine Verabreichung BtMG- gelisteter Analgetika durch Notfallsanitäter/-innen bis heute nicht üblich ist. Demgegenüber gibt es Bundesländer, in denen eine Opiatgabe in Zusammenhang mit einem Call-Back-Verfahren oder auch einer telemedizinischen Unterstützung geregelt ist. Dies erfolgt teilweise in Absprache und nach Genehmigung durch das zuständige Ministerium. In einzelnen Ländern gibt es bereits ausformulierte Standardarbeitsanweisungen (Vorabdelegation) für dezidierte Indikationen und Dosierungen.

Angesichts der heterogenen Ausgangssituation unterstreicht die BAND e.V. den Standpunkt, dass die Diskussion um die Opiatgabe durch Notfallsanitäter/-innen in allererster Linie das Wohl des Notfallpatienten berücksichtigen muss. Mit diesem Ziel und vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Erkenntnisse sollten bestehende rechtliche Hürden einerseits und berufsständische Vorbehalte andererseits beseitigt werden. Die Weiterentwicklung der nicht-ärztlichen Fachberufe sowie der telemedizinischen Möglichkeiten macht ein konsequentes Nachdenken über verbesserte rechtliche Klarheit und Sicherheit in diesem kritischen Bereich der Notfallmedizin erforderlich. Ziel muss aus Sicht der BAND e.V. weiterhin die sorgfältige Auswahl der Präparate, die Beschreibung der betroffenen Einsatzszenarien in Standardarbeitsanweisungen und die Zertifizierung der Notfallsanitäter/-innen durch die Ärztlichen Leitungen Rettungsdienst sein.

Eine eindeutige wissenschaftliche Evidenz zum Nutzen (und ggfs. zur Unausweichlichkeit und Alternativlosigkeit) einer Gabe von Opiaten oder Opioiden in der prähospitalen Notfallmedizin existiert bis heute nicht [6]. Erfahrungen in anderen Ländern (s. Opioid-Epidemie in den USA) zeigen, dass die einschränkenden Vorgaben des BtMG im Hinblick auf den Gesundheitsschutz der Bevölkerung einen hohen Stellenwert haben und behalten müssen. Die BAND e.V. hält dennoch im Fall von rettungsdienstlichen Krankheitsbildern mit „erheblichen Schmerzzuständen“ die Vorenthaltung von Opiaten und Opioiden allein aufgrund der normativen Vorgaben des BtMG für nicht vertretbar. Vielmehr ist die Öffnung des BtMG für Notfallsanitäter/-innen unter bestimmten Bedingungen sinnvoll und möglich.

Vorbedingung muss die Formulierung von Leitplanken für die Opiatgabe durch Notfallsanitäter/-innen anhand von differenzierten Situationsbeschreibungen mit falladaptierter und evidenzbasierter Präparateauswahl sein. Ein strukturiertes Kompetenzsystem muss die sichere Indikationsstellung und Verabreichung gewährleisten. Der Pyramidenprozess erscheint als die geeignete Instanz, um derartige Ausarbeitungen im Rahmen eines analgetischen Gesamtkonzeptes vorzunehmen, in welchem nach wissenschaftlicher Abwägung alternative Konzepte zur Schmerzbehandlung mit Nicht-Opiaten im Vordergrund stehen. Die notwendige Rechtssicherheit für eine erforderliche Gabe von Opiaten oder Opioiden – sowohl für die behandelnden Notfallsanitäter/-innen als auch für die delegierenden und verantwortlichen Ärztlichen Leitungen Rettungsdienst – muss jedoch mittels einer entsprechenden Ausnahmeregelung im BtMG durch den Gesetzgeber geschaffen werden.

Berlin im Oktober 2021

Dr. Florian Reifferscheid
Vorsitzender der BAND e.V.

Literatur

[1]     Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste (2021). Die Verabreichung von Opiaten durch Notfallsanitäter – Strafbarkeit nach dem Betäubungsmittelgesetz. Aktenzeichen WD 9 – 3000 – 028/21

[2]     Fehn K (2017). Analgesie mit opioidhaltigen Arzneimitteln durch Notfallsanitäter unter der Geltung des Notfallsanitätergesetzes – Zu Strafbarkeitsrisiken und zur Notwendigkeit von Gesetzesänderungen. MedR 35: 453-459. DOI: 10.1007/s00350-017-4620-2

[3]     Gesetzentwurf der Bundesregierung Entwurf eines Gesetzes zur Reform der technischen Assistenzberufe in der Medizin und zur Änderung weiterer Gesetze (MTA-Reform-Gesetz). Deutscher Bundestag, Drucksache 19/24447, 19. Wahlperiode, 18.11.2020

[4]     BAND e.V., DIVI (2005): Stellungnahme zur Empfehlung der Bundesärztekammer vom 20.10.2003 zur Gabe von Analgetika durch Rettungsassistenten/-assistentinnen im Rahmen der Notkompetenz. Der Notarzt 2005; 21(3): 81-82. DOI: 10.1055/s-2005-866839

[5]     Lott C, Braun J, Göbig WD, Dirks B (2012). Medikamentengabe durch nichtärztliches Rettungsfachpersonal. Notfall Rettungsmed 2012; 15: 35-41. DOI 10.1007/s10049-011-1524-y

[6]     Sobieray DM, Martinez BK, Miao B, et al (2020). Comparative Effectiveness of Analgesics to Reduce Acute Pain in the Prehospital Setting. Prehospital Emergency Care, 2020; 24: 2, 163-174. DOI: 10.1080/10903127.2019.1657213

Über die BAND e.V.

Die Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte Deutschlands (BAND) e.V. ist die Dachorganisation der 12 deutschen Notarztarbeitsgemeinschaften. Satzungsgemäß wahrt sie die überregionalen Interessen aller Mitgliedsarbeitsgemeinschaften als deren einheitliche berufspolitische Vertretung in der Notfallmedizin, koordiniert die Aktivitäten der Mitgliedsarbeitsgemeinschaften, wirkt auf eine kontinuierliche Verbesserung der notfallmedizinischen Versorgung der Bevölkerung und eine bundesweit einheitliche Qualifikation der Notärzte hin und leistet die zentrale Öffentlichkeitsarbeit in der Notfallmedizin für alle Mitgliedsarbeitsgemeinschaften. Insgesamt vertritt sie so die Interessen der rund 12.000 Notärztinnen und Notärzten, die Mitglieder in den Arbeitsgemeinschaften sind.

Die BAND ist seit den 1980er Jahren gemeinsam mit Bundes- und Landesärztekammern und den Ministerien der Bundesländer maßgeblich mitbeteiligt an der Ausprägung der Grundelemente unseres heutigen Notarzt- und Rettungswesens, insbesondere bei der Erarbeitung der Konzepte zu Aufgaben und Ausbildung von Rettungsassistenten, Notärzten, Leitenden Notärzten sowie Ärztlichen Leitern des Rettungsdienstes.

Die BAND e.V. begrüßt ausdrücklich Initiativen zur Reform der Notfallversorgung in Deutschland. Gleichzeitig weisen wir darauf hin, dass eine solche Reform unbedingt die Vorbereitung auf Großschadenslagen und Katastrophen berücksichtigen muss. Dies gilt sowohl für den präklinischen als auch den klinischen Bereich.